Donnerstag, 28. Januar 2010

State of the Union Address 2010

Heute Nacht deutscher Zeit hielt Barack Obama seine erste Rede zur Lage der Nation. Zwar sprach der 44. Präsident der USA bereits schon zwei Mal vor dem Kongress, diese Reden galten formal jedoch nicht als Rede zur Lage der Nation.

Insgesamt zeigte Barack Obama wieder einmal, dass er der beste Telemprompter-Ableser der Welt ist. Schlecht war die Rede sicherlich nicht. Herausragend ist aber auch etwas völlig anderes. Schwer zu glauben, dass Obama es heute Nacht schaffte, seine Umfragewerte langfristig aus dem Keller zu holen. Zumal letztlich sowieso nur Taten zählen. Und damit hat's der 44. Präsident der USA ja bekanntlich nicht so.
Die Stimmung unter den Abgeordneten war ziemlich parteiisch. Das häufigste Bild: Demokraten mit stehenden Ovationen, Republikaner, die stumm sitzen bleiben. Bei einigen Themen waren laut einer Kommentatorin von CNN auch viele versteinerte Gesichter unter den Demokraten zu sehen.

Hier einige Beobachtungen zur diesjährigen Rede:

Neben dem Präsidenten selbst, sind stets zwei andere Personen auf besondere Weise im Blickfeld: Der Vizepräsident, der in seiner Eigenschaft als Präsident des Senats, rechts hinter dem Präsidenten sitzt und der Speaker, der links hinter dem Präsidenten sitzt. Die derzeitige Kombination heißt Joe Biden und Nancy Pelosi, was für sich allein schon ein ernster Grund ist, sich diese Rede erst gar nicht anzutun. Joe und Nancy schienen ihre Kleidung aufeinander abgestimmt zu haben: Er mit lila gestreifter Krawatte, sie mit lila Kostüm.
Besonders widerlich waren Joes verliebte Blicke auf seinen Chef, gepaart mit einem dauerhaften dämlichen Grinsen und ständigem Kopfnicken. Wie wünscht man sich da die Tage zurück, als Dick Cheney sich alle Mühe gab, nicht einzuschlafen, oder genüsslich ein paar Bonbons lutschte. Nancy Pelosi konnte ihr hysterisches Aufspringen und Applaudieren auch diesmal nicht lassen, verhielt sich aber nicht ganz so schlimm wie bei früheren Anlässen dieser Art. Trotzdem wäre das Aufspringen Pelosis auch diesmal wieder eine gute Gelegenheit für Trinkspiele gewesen.

Der Anfang der Rede war ganz im amerikanischen Pathos gehalten, mit dem Obama versuchte, den nie aufgebenden US-Spirit zu beschwören, und dem Land in diesen schweren Zeiten Mut zuzusprechen. Dies bewirkte erste stehende Ovationen von beiden Lagern. Obama: "We do not give up, we do not quit!"
Absolut langweilend ist das ständige Lamentieren über die parteiliche Stimmung in Washington. Ja, wir haben's verstanden - aber auch Barack wird daran nichts ändern. Zumal er seinen Teil tagtäglich dazu beiträgt.

Dann folgte jedoch der erste Drang, umzuschalten, oder gleich ins Bett zu gehen, als Barry O. begann, auf den Banken und der Wall Street rumzuhacken. Es sind erste klare Differenzen unter den Abgeordneten zu erkennen: Die Demokraten können sich kaum halten vor Begeisterung, die Republikaner bleiben auf ihren Händen sitzen. Die gleiche Reaktion ist zu sehen, als Obama aufzählt, wie seine Regierung auf die Finanzkrise reagiert hat. Er spricht von Steuersenkungen, die seine Administration auf den Weg brachte. Als die Republikaner darauf nicht reagieren, sagt er scherzhaft: "Ich dachte, dafür würde ich auch auf dieser Seite Applaus kriegen." Da muss selbst der oberste Republikaner im Repräsentantenhaus, John Boehner, grinsen.

Die gleiche geteilte Reaktion ist zu sehen, als Obama über das Konjunkturpaket (the stimulus bill) spricht. Obama zählt Einzelfälle auf, wo das Gesetz Arbeitsplätze geschaffen hat. Seine negativen Folgen werden erwartungsgemäß unter den Teppich gekehrt. Den stehenden Ovationen nach zu urteilen, sind sich aber Demokraten und Republikaner einig, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen oberste Priorität haben muss. Obama spricht von einem "Jobs Bill", das er bald verabschiedet sehen will. Die Republikaner scheinen wenig begeistert.

Neben Nancy Pelosi verwechseln noch andere Demokraten die Kammer des Repräsentantenhauses mit einem Fitnessstudio: Manche Demokraten springen bei jedem noch so kleinen Zwischenapplaus frenetisch auf und feiern ihren Liebling.

Dann beginnt bei jedem Loyal Bushie endgültig die Übelkeit: Keine Obama-Rede ohne das altbekannte Spiel "Blame Bush". Das letzte Jahrzehnt wird von Obama wirtschaftlich als "lost decade" bezeichnet. Man traut seinen Ohren nicht.

In Bereichen wie Umwelttechnologien und Bildungspolitik werden Länder wie Indien und Deutschland als Vorbilder herausgestellt. Aahh, so was hören Amerikaner gern - vor allem die außerhalb von Los Angeles oder New York.

Dann endlich ein Grund, US-Politik im Allgemeinen wieder zu mögen: Barack fordert den Bau neuer Kernkraftwerke! So loben wir uns die Amis.
Ansonsten bringt das Thema Umweltschutz wieder überaus geteilte Reaktionen unter den Abgeordneten hervor: Als Obama ein umfassendes Umweltgesetz fordert, zeigen die Republikaner starre Mienen. Applaus bekommt der Präsident von ihnen nur, als er erwähnt, dass manche den Klimawandel anzweifeln. Na ja, sinngemäß - wortwörtlich spricht Obama davon, dass einige "the overwhelming scientific evidence on climate change" (ha ha, darf man lachen?) anzweifeln.

Eingermaßen erträglich wird es erst wieder, als Obama sich als Anhänger des freien Handels zeigt. George Bush wird an diesem Abend zum ersten Mal stolz auf seinen Nachfolger gewesen sein.

Dann folgte DAS Thema: Die Gesundheitsreform. Recht sympathisch ist Obamas anfängliches Kokettieren mit den Schwierigkeiten und politischen Konsequenzen, die dieses Vorhaben im letzten Jahr mit sich brachte - gerade auch für ihn persönlich.
Dann stellt Obama jedoch die Vorzüge einer solchen Reform dar - also aus seiner subjektiven Sicht natürlich. Wenn man das alles glauben würde, hätte Barack tatsächlich die perfekte Gesundheitsreform gefunden und man fragt sich, wie überhaupt auch nur ein Kongressabgeordneter dagegen sein kann.
Er impliziert: Besser irgendeine Reform, als gar keine. Na ja, irgendein Murks wird auch niemandem helfen.

Das Thema Staatsdefizit taucht auf und das heißt: "Blame-Bush"-Zeit!!!! Die Republikaner lassen die paar Sätze gelangweilt über sich ergehen. Barack findet grad noch so die Größe, zumindest eine Billion Dollar des Defizits auf seine Kappe zu nehmen. Puuh, da sind wir aber erleichtert.
Dann etwas aus der Rubrik: Was interessiert mich mein Geschwätz von Gestern (bzw. aus dem Wahlkampf)? Präsident Obama fordert ab 2011 eine dreijährige teilweise Haushaltssperre. Wie schön, dass McCain das im Wahlkampf gefordert hat, während Obama strikt dagegen war.
Des weiteren künidgt Obama die Bildung einer "Fiscal Commission" an. Also das Prinzip: "Wenn du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis". Eine solche Fiscal Commission wurde gestern noch vom Senat abgelehnt. Obama kündigt an, dieses Votum mit einem Exekutivbefehl ("Executive Order") zu umgehen. Als Bush solche Sachen machte, wurde ihm praktisch die Aushebelung der Demokratie vorgeworfen, aber was soll's.

A propos Bush: Der wurde ja schon lange nicht mehr in die Pfanne gehauen. Also los geht's mit folgendem Abschnitt: “From some on the right, I expect we’ll hear a different argument – that if we just make fewer investments in our people, extend tax cuts for wealthier Americans, eliminate more regulations, and maintain the status quo on health care, our deficits will go away. The problem is, that’s what we did for eight years. That’s what helped lead us into this crisis. It’s what helped lead to these deficits. And we cannot do it again.” Mal schauen, wann Obama das nächste Mal beschwört, die Vergangenheit ruhen zu lassen.

Dann spricht Obama mal wieder davon, das Rad in Washington neu erfinden zu wollen: Weniger Parteilichkeit, mehr Transparenz, das Vertrauen bei den Bürgern wieder herstellen und so weiter und so fort. GÄHN!
Als Obama auf die so genannten "Earmarks" schimpft, also Staatsausgaben, die einzelne Abgeordnete in irgendwelchen Gesetzen verstecken, wird die Heuchelei himmelschreiend. Wer unterschreibt denn ständig Gesetze, die voll von diesem Zeug sind!?
Während man sich über diese Heuchelei noch aufregte, konnte man schon über den Witz des Tages lachen, als Barack verlauten ließ: "I'm not naive."
Schön war zumindest, dass Obama bei diesem Abschnitt über das Verhalten der Politiker in Washington betonte, dass er hier zu beiden Seiten spreche, also auch zu den Demokraten. Das war auch bitter nötig, denn das, was er an dieser Stelle kritisierte, haben die Demokraten von 2001 bis 2009 pausenlos gemacht.

In diesem Teil der Rede tat Obama etwas, das eigentlich unüblich ist: Er nahm den Supreme Court aufs Korn. Dieser hatte vor ein paar Tagen ein Gesetz zur Wahlkampffinanzierung gekippt und diese Entscheidung passte Barack augenscheinlich überhaupt nicht. Heute ist in den Medien verbreitet zu hören und zu lesen, dass der konservative Richter Samuel Alito seinem Unmut über Obamas Gerede freien Lauf ließ, indem er den Kopf schüttelte und Dinge wie "not true" vor sich hin murmelte. Eine astreine Supreme-Court-Besetzung, Mr. Bush.

Für einen Außenpolitiker wie mich, folgte dann der beste Teil: Außen- und Sicherheitspolitik. Als Obama von Amerikas Sicherheit und deren Erhalt spricht, rufe ich mir das letzte Jahr in Erinnerung und versuche in meinem Gedächtnis, auch nur eine Maßnahme Obamas zu finden, die da geholften hätte. Fehlanzeige!
Ich erinnere mich allenfalls an seine "Ich-entschuldige-mich-für-mein-Land-und-seine-vielen-Fehler"-Tour, als Barry O. sagt, er habe die Partnerschaften zu Ländern vom Pazifik, über Südasien bis zur Arabischen Halbinsel gestärkt.
Das Thema Afghanistan wird praktisch in einem Satz abgehandelt: Wieder wird der US-Abzug für 2011 angekündigt. Man kann die Autokorsos der Taliban in Kabul fast hören.

Dann kommt Obama auf den Irak zu sprechen und mein angewidertes, ja entsetztes Kopfschütteln verursacht fast ein Schleudertrauma: Obama spielt sich als den Beender des Irakkrieges auf, der die US-Truppen zum glorreichen Sieg geführt hat. Angemessener wäre es gewesen, die Adresse George Bushs zu nennen mit der Aufforderung, die Dankesschreiben bitte dorthin zu schicken. Zur Erinnerung: Als es darum ging, den Irak in Schande zu verlassen und den Terroristen zu überlassen, oder ein letztes Mal aufzustehen und zu kämpfen, war Barack für Option A, während Bush den Arsch in der Hose hatte, Option B anzuordnen.

Dann das obligatorische und genauso berechtigte Lob an die Truppen, das zurecht stehende Ovationen auf beiden Seiten hervorrief.

Nächstes Thema: Nuklearwaffen. Barack spricht wieder von seinem (stupiden) Traum einer nuklearwaffenfreien Welt. Nordkorea und Iran werden im Vorbeigehen erwähnt. Na ja, was soll Barack dazu auch sagen, wo er da doch NICHTS erreicht hat! Er kündigt dem Iran immerhin "growing consequences" an. Ahmadinedschad kann sich sicherlich vor Angst kaum halten. Oder vor Lachen.

Das Thema Guantanamo erwähnte Obama (wohl sicherheitshalber) mit keinem Wort. Damit blieb uns zumindest eine weitere Entschuldigungsrede erspart. Vielleicht hat ja auch Obama mittlerweile geschnallt, dass das bei den Amerikanern nicht sonderlich gut ankommt.

Daraufhin war ich leicht, oder sagen wir mal, massiv irritiert, denn Barack schien mit dem Thema Außen- und Sicherheitspolitik durch zu sein. Nach gefühlten fünf Minuten. Ääähh, ist da nicht diese Kleinigkeit namens "war on terror"? Landeanflug auf Detroit oder so? Klingelt da was? Oder wenigstens ein paar deutliche Ansagen an die bin Ladens dieser Welt? So was wie "wir werden euch kriegen und euch zuerst mit unseren Soldaten und dann mit Demokratie und Freiheit den Hintern aufreißen"?
Ohne Worte.

Amerika hat wichtigere Probleme als das, denn statt dessen folgte die faktische Forderung nach einer Abschaffung des Prinzips "don't ask, don't tell" beim US-Militär. Die Republikaner mit versteinerter Miene.

Dann schließt sich der Kreis. Obama beendet seine Rede mit dem selben Tenor, mit dem er sie begonnen hat. Und man muss diesen amerikanischen Pathos einfach lieben - egal, von wem er kommt. Obama beschwört Amerikas Ideale und Werte, spricht über sein Versprechen auf Wandel. Das ist dann wohl der erwartete Teil, in dem er versucht, sein persönliches Rad rumzureißen. Ein weinerliches "Ich hab ja nie gesagt, dass es einfach werden würde", kann er sich nicht verkneifen. Es herrscht erstaunliche Stille im Saal. Pelosi und die Demokraten springen noch nicht mal auf, als Obama sein "change we can believe in" wiederholt.

Um 4.20 Uhr deutscher Zeit sprach Obama die Worte: "God bless America!"












2 Kommentare:

Moritz hat gesagt…

Das mit Joes und Nancys Klamotten ist mir auch aufgefallen :)
Hab dich verlinkt: http://tinyurl.com/yezmj8f

Peter Kohl hat gesagt…

Danke für die aufschlussreiche Zusammenfassung der Rede. Ich teile Deine Einschätzung voll, wundere mich eher, daß Du Barack Obama eher milder beurteilst, wo jetzt schon die SZ anfängt, immer kritischer über ihn zu berichten ("Kein Präsident hat das Land so gespalten wie er", "noch nie nach dem Krieg ist ein US-Präsident so schnell so tief in der Wählergunst gefallen" etc.) Auch wenn Rechthaberei nicht gut ist, so ist es für mich doch ein gutes Gefühl, wenn sich jetzt rausstellt, daß an Obama nicht viel dran ist und Bush ein guter Präsident mit Visionen war.