Deutschland, die Bundeswehr und Afghanistan. Seit vielen Jahren ist das nun schon eine ganz besondere Beziehung.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September rief Gerhard Schröder die "uneingeschränkte Solidarität" mit den USA aus und entsandte zusammen mit dem Bundestag deutsche Soldaten nach Afghanistan. In den ersten Jahren führte dort allenfalls die KSK mal mehr, mal weniger offiziell Krieg. Die restlichen Soldaten mit deutscher Flagge am Oberarm waren eine Art Technisches Hilfswerk mit Waffen auf humanitärer Mission. Für Bomben und verschossene Kugeln waren andere Nationen, hauptsächlich Amerikaner und Briten, verantwortlich. Das war jedenfalls die Version, die dem deutschen Volk von seinen Politikern erzählt wurde. Auf dem Höhepunkt dieses naiven Gutmenschengehabes war die Einteilung in Gut und Böse (aus deutscher Sicht) klar: Amis, Briten und andere machen in ihrem Krieg gegen den Terror (namentlich gegen die al Kaida und Taliban) das kaputt, was Deutschland vor allem im Norden Afghanistans so behutsam aufbaut (namentlich Schulen und Brunnen).
Besagte Amerikaner, Briten und andere Nationen waren voll des Dankes für diesen Ausdruck NATO-schaftlicher Kameradschaft und irgendwann schien es so, als würde deren Kopfschütteln über die Deutschen in der Bundesrepublik tatsächlich ein schon lange fälliges Umdenken bewirken. Am Hindukusch wurde plötzlich nicht mehr nur Entwicklungshilfe betrieben, sondern die Sicherheit Deutschlands verteidigt und deutsche Politiker nahmen sich der Kriegssemantik an und sprachen von "Krieg" und "Gefallenen". Auch die Einsatzregeln der Soldaten wurden vor einigen Wochen geändert und an diese neue Wortwahl angepasst: Was früher den Platz von sieben DIN-A-4-Seiten benötigte, passt jetzt auf deren drei. Die FAZ berichtete: "Einschränkungen oder Unklarheiten sind entfallen. So wird der Schusswaffengebrauch gegen flüchtende Personen nicht mehr verboten, und er muss nicht mehr 'grundsätzlich' angedroht werden, sondern 'sofern es die Lage zulässt'." Man fragt sich, wie überhaupt jemals irgendetwas anderes der Fall sein konnte und man verspürt den Drang die Worte "deutsche Soldaten" und "Freiwild" in ein und demselben Satz zu gebrauchen, aber na ja... lassen wir das.
Spätestens seit einigen Tagen ist wohl auch dem letzten deutschen Naivling klar, was die Bundeswehr da am Hindukusch so treibt, denn dieser Tage ist eine große Debatte über einen NATO-Luftangriff entbrannt (ja, so richtig mit Bomben und so), der von einem deutschen (!) Befehl ausging. Oberst Georg Klein ordnete den Angriff auf zwei Tanklastzüge an, die zuvor von Talibankämpfern gekapert worden waren. Der Angriff erfolgte mitten in der Nacht in nicht bewohntem Gebiet und nachdem Aufklärungsflugzeuge nur Taliban und keine Zivilisten um die Tanklastzüge herum ausgemacht hatten. So sagt Oberst Klein denn auch, dass die ganze Geschichte zu 100 Prozent zusammengepasst habe. Nun aber ist - je nachdem welchem Bericht man glaubt - von möglicherweise zig toten Zivilisten die Rede. Verteidigungsminister Jung dementierte dies zwar und sprach davon, dass keine Zivilisten getötet worden seien. Nach aktuellen Berichten scheint das Verteidigungsministerium von dieser Behauptung aber langsam abzurücken. Die ganze Geschichte passierte nun auch ausgerechnet in einer Zeit, in der ISAF-Chef US-General Stanley McChrystal den äußerst vorsichtigen Umgang mit Luftangriffen angeordnet hat, da es dabei in der Vergangenheit zu hohen Verlusten unter der afghanischen Zivilbevölkerung kam, die wiederum die Akzeptanz der ISAF-Truppen unterminierten. Jedenfalls kam es zu weit aus mehr zivilen Opfern, als bei Bodeneinsätzen, die nun verstärkt durchgeführt werden sollen.
Nun ist es ausgerechnet die Bundeswehr, das schulenbauende, weiße Schaf der ISAF-Familie, die in diesen Tagen am Pranger steht und von Vorwürfen überhäuft wird. Dass man von der EU in einem solchen Fall keinen großen Rückhalt erwarten muss, ist klar. Auch Karzais prompte Empörung war leicht vorherzusehen. Eher überraschend ist da schon die Kritik aus dem eigentlich ja kriegsrealistischen US-Lager, von dem man da vielleicht etwas mehr Verständnis erwartet hätte. Jedenfalls sah General McChrystal sich erst einmal zu einer TV-Ansprache an das afghanische Volk genötigt.
Der eigentliche Skandal ist jedoch die Empörung bei Grünen, Linken und sonstigem bundeswehrfeindlichem Gesocks in Deutschland. Dass unsere Soldaten in der Heimat nur "freundliches Desinteresse" erfahren, wie Horst Köhler es einmal so trefflich formulierte, ist ja schon schlimm genug. Zu Recht fordert der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe in einem Interview etwa Schweigeminuten bei Versammlungen der Arbeitgeberverbände, Erwähnungen der Soldaten in Gewerkschaftsreden am 1. Mai und Bücher und Filme über die Bundeswehr. Das Mindeste was die Bundeswehr gerade von den Abgeordneten, die ihre Einsätze befehligen, erwarten kann, ist ja wohl der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten". Dass für so manchen die Schuld der Bundeswehr jetzt schon fest steht, bevor sie überhaupt ansatzweise bewiesen wurde, ist beschämend. Wenn schon alle anderen drauf hauen, sollten die Soldaten wenigstens in der Heimat, für die sie den Kopf hinhalten, Unterstützung erwarten können.
Oberst Klein hat wohl die beste Entscheidung getroffen, die er mit den ihm vorliegenden Informationen treffen konnte. Dass dann doch nicht alles vollkommen reibungslos und vor allem ohne tote Zivilisten klappt, ist nun mal die Realität eines Krieges. Zumal es sich beim Gegner um Leute handelt, die Zeugenaussagen nach unschuldige Menschen aus dem benachbarten Dorf gezwungen haben, zu den Tanklastzügen zu kommen.
Wie Die Welt in einem hervorragenden Kommentar schreibt: "Der Befehl zum Luftangriff erfolgte nicht aus Jux und Dollerei und aus heiterem Himmel, sondern inmitten intensiver Kampfhandlungen, in deren Verlauf die Bundeswehrsoldaten von Taliban-Terroristen (und zwar von ganz realen, und nicht von „vermuteten“ [wie die ARD berichtete]) attackiert werden und sich mit ihnen heftige Gefechte liefern müssen."
Klar ist aber auch: Wer, wie die Deutschen, immer der Erste ist beim Erheben des moralischen Zeigefingers, darf sich nicht wundern, wenn sich das Blatt mal wendet.
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1 Kommentar:
Die Behauptung, es seien nachts um halb 2 auf einer Sandbank in der Einöde Zivilisten getötet worden, die im guten Glauben und der Einhaltung von Brandschutzmaßnahmen Benzin von Taliban kauften, wird hier also wiederholt. Tatsache ist aber, daß in der Umgebung von Kundus niemand meckert über die Toten. Es wird kein Blutgelt verlangt oder gezahlt (wie es nach von McChrystal zu verantwortenden Bombardierungen von Hochzeitsgesellschaften war), es gibt keine Proteste von Dorfbewohnern und der Gouverneur lobt die Bundeswehr sogar.
Eine andere Tatsache ist, daß alle Taliban Zivilisten sind. Schuldige, mordende, raubende Zivilisten, die sich nicht an die Gebräuche des Krieges halten und Rotkreuz/Rothalbmondfahrzeuge attackieren, die sich durch Uniformen nicht von der Zivilbevölkerung abheben und die ihre Waffen nicht offen führen.
Ihr eigenes, unbarmherziges Recht sieht für solche Mörder nur den Tod vor. Niemals darf man vor solchem Unrecht zurückweichen.
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