Dienstag, 2. Oktober 2007

Deutschlands langsamer Abschied vom Westen

WELT-Kolumnist Jacques Schuster trifft öfter mal den richtigen Ton und findet vor allem die richtigen Worte. Von vielen seiner Journalistenkollegen ist das ja durchaus zu viel verlangt. In der gestrigen Ausgabe der WELT ist Schuster dies wieder einmal gelungen - und zwar in einem Essay mit der Überschrift "Deutschlands langsamer Abschied vom Westen", was gleichzeitig auch die These Schusters darstellt. Und zwar eine nicht all zu gewagte, wie dieser Blog findet. In der Tat ist Deutschlands langsamer Abschied vom Westen wohl keine große Neuigkeit mehr.
So zitiert Schuster als Beispiel gleich zu Anfang einen ehemaligen Berater Helmut Kohls, der es nicht als offensichtlich richtig betrachtet, sich im Raketenstreit mit Moskau auf die Seite der USA und Mitteleuropas zu schlagen.

Ja und überhaupt diese USA: Schuster führt hier erschreckende Umfragewerte auf, die zeigen, dass die Deutschen wissen, wo der Gegner steht: Auf der anderen Seite des Antlantiks. Dies habe nicht ausschließlich mit Bush zu tun, so Schuster. Die Deutschen seien den USA insgesamt gram.
"Die meisten von ihnen betrachten die Vereinigten Staaten als ein Land
kriegslüsterner Umweltsünder, die in falscher Frömmigkeit die Erde zu ihren
imperialistisch-kapitalistischen Ideen bekehren wollen. Wer nicht spurt, landet
in Guantánamo."
Schuster weiter:
"Immer mehr Deutsche halten nichts von den USA, beobachten das
Auseinanderdriften mit Freude und lauschen missmutig, wenn jemand sie an die
amerikanische Rolle bei der Befreiung Europas erinnert. Zuweilen scheint es
sogar, als hätten die heutigen Generationen den Amerikanern den Sieg 1945 nicht
verziehen. Sie ärgern sich über die europäische Abhängigkeit von Amerika und
stellen die eigene Schwäche gleichzeitig als moralische Stärke heraus. In ihrem
Weltbild steht Deutschland als Insel der Tugend da, und nur ihre Bewohner
wüssten, wie sich Schwerter zu Pflugscharen schmieden lassen."

Diese Empfindungen bettet Jacques Schuster in etwas weitaus Größeres hinein: Eine schleichende, aber beständige Entwestlichung Deutschlands. Der Amerikander Fritz Stern beobachtet:
"Die Revolte gegen 'den Westen' mit seinem vermeintlichen Materialismus und
seiner angeblich geistigen Leere, verbunden mit hegemonialer Arroganz, hat um
sich gegriffen".

Auch der Wert der Freiheit wird in Deutschland immer weniger als Priorität gesehen. Gleichheit und soziale Sicherheit gewinnen immer mehr an Boden. Dies scheint eine deutsche Eigenheit zu sein, da es bei den westlichen Nachbarn in dieser Hinsicht anders aussieht.
Am Ende seines Essays zieht Jacques Schuster seine Lehren aus diesen Beobachtungen und malt ein Zukunftsbild, das man wohl nur als schwarz bezeichnen kann:
"Über kurz oder lang wird die Linksunion, das Bündnis zwischen Sozialdemokraten,
den Kommunisten und den Grünen, einer Mehrheit der Deutschen hinnehmbar
erscheinen. [...] Außenpolitisch wird das Land hin und her schwanken,
unberechenbarer werden und der Welt durch lautstarken moralischen Rigorismus
auffallen."

Schusters Essay hat den Nagel auf den Kopf getroffen und auch sein Zukunftsbild ist eine Entwicklung, die diesem Blog leider nur all zu realistisch erscheint.
Der Trost für diesen Blog und seine Brüder und Schwestern im Geiste ist, dass die Freiheitsstatue immer noch Immigranten aus der Alten Welt gern willkommen heißt. Und westlicher als die USA geht es in keiner Hinsicht. Soll Deutschland dann mit seiner selbst gewählten Misere doch glücklich werden. Und vielleicht helfen beim nächsten Notfall ja die Russen.

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